Ein Blick in die Gefangenschaft

Anmerkungen zu den Zeichnungen WV-Nr. 1697 und 1698:

Heinrich Fahnster 1945, 14,5×21 cm, Bleistift auf Papier, Privatbesitz (WV-Nr. 1697)

 

Ein Blick in die Gefangenschaft – Arthur Eden zeichnet Heinrich Fahnster

Am 24. Mai 1945, nur wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, schuf der Künstler Arthur Eden in britischer Kriegsgefangenschaft ein Porträt seines jungen Mithäftlings Heinrich Fahnster. Zwei Ansichten – im Profil und von vorn, beide mit Uniformmütze – hielt Eden mit Bleistift auf einfachem, karierten Papier fest, mit sicherem Strich und feinem Gespür für Ausdruck. Kein offizieller Auftrag, keine Pose für die Geschichte, sondern ein stiller Moment zwischen zwei Männern, gezeichnet vom Krieg.

Heinrich Fahnster, 1946, Privatbesitz

Arthur Eden, bereits 46 Jahre alt, war zusammen mit Fahnster im POW-Camp 2226 Cage II im belgischen Zedelgem interniert. Das Lager bestand aus umfunktionierten Munitionsschuppen, ergänzt durch Holzbaracken, Wellblech- und sogenannte Nissenhütten. In den benachbarten Lagern 2229 und 2375 lebten die Gefangenen sogar ausschließlich in Zelten – ein Hinweis auf die provisorische, entbehrungsreiche Situation dieser Nachkriegszeit.

Heinrich Fahnster, 1943, Privatbesitz

Heinrich Fahnster, geboren am 17. August 1927 in Hinrichsfehn, war erst 17 Jahre alt, als Eden ihn zeichnete. Vom Krieg an der Westfront geprägt, aber noch kaum erwachsen, wurde er durch Edens Porträt zu einer stillen, persönlichen Figur der Zeitgeschichte. Fahnster hatte sich – begeistert von Uniformen – freiwillig zum Dienst gemeldet und war im Rahmen der letzten Einberufungswellen noch als Jugendlicher an die Front gelangt. Die Schrecken des Krieges ereilten ihn früh, doch auch in der Gefangenschaft fand er einen Moment menschlicher Nähe und Anerkennung. Eden schenkte ihm das Blatt – eine Geste der Verbundenheit und Menschlichkeit in einem Moment, in dem beides rar geworden war. Fahnster bewahrte die Zeichnung auf, trug sie offenbar lange bei sich. Die heute sichtbaren Falten, Knicke und Gebrauchsspuren erzählen davon: Dies war kein Bild für ein Museum, sondern eines für die Innentasche. Ein stilles Erinnerungsstück an Würde in Zeiten der Entwurzelung.

Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft kehrte Heinrich Fahnster nach Ostrhauderfehn zurück. Er zog in das Elternhaus, ein Fehnhaus, das sein Vater 1936 erworben hatte. Dort begann für ihn ein neues Leben. Er heiratete Anni, geborene Flintjer (1930–2007) aus Burlage. Gemeinsam bekamen sie zwei Kinder: Gerd (geb. 1951) und Katharina (geb. 1960).

Zunächst arbeitete Heinrich auf einem Schiff – ein Leben zwischen Wasser und Weite. In den 1950er Jahren war er lange Zeit im Moor tätig, bevor er einen großen Seilbagger fuhr und schließlich in den Tiefbau wechselte. Dort verlegte er Wasserleitungen und Kabel – ein körperlich fordernder Beruf, der ihn stets auf Montage führte. Heinrich war viel unterwegs, selten an einem Ort, doch seine Familie hatte in Ostrhauderfehn stets einen festen Anker.

Um 1960 leistete er sich einen Gogo – das erste Automobil in der Nachbarschaft – und machte damit seine junge Familie mobil. Vom Krieg jedoch sprach Heinrich nie. Er behielt die Erinnerungen für sich – schweigend, wie so viele seiner Generation.

Ein gezeichneter Gruß – Geburtstagskarte für Heinrich Fahnster

Glückwunschkarte für Heinrich Fahnster, 1945, 11,2×15,2 cm, Bleistift auf Papier, Privatbesitz (WV-Nr. 1698)

 

Die Signaturen der Gratulanten. Arthur Eden als fünfter von oben.

Neben dem Porträt hat sich ein weiteres bemerkenswertes Werk aus Arthur Edens Zeit in britischer Kriegsgefangenschaft erhalten: eine handgezeichnete Geburtstagskarte für Heinrich Fahnster. Eden fertigte sie am 17. August 1945, dem 18. Geburtstag seines Mithäftlings, an – mitten im Lageralltag von Zedelgem.

Die Zeichnung folgt zunächst dem vertrauten Motiv einer Glückwunschkarte: Ein stilisierter Blumenstrauß, eingefasst von einer beschrifteten Banderole, überbringt visuell die besten Wünsche. Die Worte „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“ sind sorgfältig in drei geschwungenen Bändern arrangiert, kunstvoll von Hand ausgeführt. Oberhalb blühen in zartem Strich gezeichnete Blumen – Symbole für Leben, Hoffnung und einen Moment des Innehaltens. Doch das scheinbar Harmlos-Idyllische trägt eine zweite, tiefere Ebene: Am unteren Rand der Zeichnung verläuft ein angedeuteter Stacheldraht – eine eindrucksvolle Erinnerung an den Ort der Entstehung, die Kriegsgefangenschaft.

Heinrich Fahnster, 1950, Privatbesitz

Auch die Ortsangabe „Zedelghem“ in belgischer Schreibweise und das präzise notierte Datum machen aus dem persönlichen Gruß ein kleines historisches Dokument. Die Kombination aus feiner Linienführung und klarer Symbolik verleiht der Karte einen stillen Ausdruck von Würde. Eden verzichtete bewusst auf Pathos oder Flucht in heile Bildwelten – stattdessen schuf er ein Werk, das Menschlichkeit inmitten der Entbehrung zeigt.

Bemerkenswert ist zudem die Rückseite beziehungsweise ein separates Blatt: 14 Mithäftlinge haben dort unterschrieben, darunter auch Arthur Eden selbst. Sie alle gratulierten dem jungen Fahnster – eine Geste der Kameradschaft, festgehalten mit einem Bleistift. Inmitten von Lagerzaun und Fremdbestimmung zeigt sich hier ein Moment gelebter Gemeinschaft, getragen von Zeichen, Namen und einer gezeichneten Blume.

Heinrich Fahnster starb am 16. April 2009. Die Erinnerungen an ihn – seine frühe Prägung durch den Krieg, seine Rückkehr in die Heimat, sein stilles Schweigen – leben heute weiter in diesen wenigen erhaltenen Zeichnungen. Sie erzählen von Verlust und Freundschaft, von Zusammenhalt und Überleben – und vom leisen Fortbestehen menschlicher Würde.

Mehr über das Lager in Zedelgem, die Lebensbedingungen der deutschen Kriegsgefangenen und den historischen Hintergrund der hier gezeigten Zeichnungen finden Sie unter „Dingskirchen, Irgendwo, Meinetwegen…„. Der Beitrag beleuchtet das Geschehen jenseits der Frontlinien – ein Blick auf Orte, die selten im Fokus stehen, und auf Schicksale, die meist im Stillen bleiben.

Autor: Andreas Grundei