Erinnerungen an eine Freundschaft

Anmerkungen zum Tempera-Bild WV-Nr. 980:


Birken im Wiedeler-Moor, 1930, 50,5 x 40 cm, Tempera, Privatbesitz (WV-Nr. 980)

Arthur Eden und Martin Graalmann waren gute Freunde von frühester Jugend an und wuchsen beide in Sillenstede auf. Als Martin Graalmann aus beruflichen Gründen 1952 Sillenstede in Richtung Köln verließ, bekam er von seinen Freund Arthur ein Tempera-Bild zum Abschied geschenkt, welches im Wiedel nahe Sillenstede entstand. Es zeigt am Horizont den noch vorhandenen Hof „Klein Strückhausen“ und mehrere Birken am Wegesrand, die heute nicht mehr stehen. Der Verlauf des Weges änderte sich über die Jahrzehnte ein wenig, aber die Szene ist vor Ort durchaus noch gut nachvollziehbar.
Arthur Eden betitelte das Bild rückseitig mit „Birken im Wiedeler-Moor“, ein Gebiet, das sich bis an die Grenzen von Sillenstede, Jever und Waddewarden ausbreitet. Die vor- und rückseitig notierte Ziffer „30“ lässt darauf schließen, dass das Bild möglicherweise 1930 entstand.
Nachdem das Bild nun viele Jahre in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg hing, befindet es sich heute, 70 Jahre später, wieder in Sillenstede.

Zum Erlebten mit Arthur Eden erinnert Martin Graalmann 1988 in seiner mehrteiligen Serie „Dorfbilder aus Alt-Sillenstede“:

„Durchs Fenster fiel der Blick auf die schwarze Bretterwand einer Kegelbahn, stellenweise mit Figuren bemalt. Arthur Eden, der gegenüber wohnte, hatte hier zum Spaß als Jugendlicher etwas gepinselt und es blieb jahrelang dort erhalten und hat mir sehr gefallen. Er hat in meiner Jugend eine besondere Rolle gespielt.
Wie oft saß er als junger Mann bei meiner Mutter in der Küchenecke zu einer Tasse Tee. Mutters heitere, aufgeschlossene Art gefiel ihm, der nach seiner Ausbildung sehr unter den Zeitumständen litt. Unsere Stube musste renoviert werden, im Nu waren die Wände kunstvoll bem
alt und über vier Türen prangten kunstvoll die Bilder Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Er schenkte mir seine ausrangierten Spielsachen und Bastelbücher. Weil ich ihn bei seinen Arbeiten nie störte, durfte ich stundenlang zuschauen.

Der Kriegerverein wollte ein großes Fest feiern und Arthur bereitete die Bühne in Jassens Saal vor; für die lebenden Bilder und das Theaterstück war viel zurechtzubasteln. Da glitt auf einem Rhein-Nachen, von Schwänen gezogen die stolze Germania (Wilma Helmerichs) daher (in Wirklichkeit stand sie auf einem Selbstfahrer der seitlich verkleidet war mit weißen Pappschwänen davor) und vorne stand die deutsche Jugend mit der Fanfare (das war ich in weißer Hemdhose) und auf dem Rheinuferfelsen brannte noch eine Burg und fiel dann unter Donner und Blitzen in sich zusammen. Die bemalte Pappeburg hatte an ihren Zinnen auf die Rückseite rote Seidenpapierschnitzel, die mit der Taschenlampe angestrahlt wurden und mit etwas Zigarettenrauch angeblasen „loderten“. Unser Dorfbarbier Carl Gerjets (Dr. Schaum) zog an einer Wäscheleine den Nachen (auf vier Rädern) über die Bühne, oft zu ruckhaft, dann kippelte die Germania und Arthur schimpfte. […] Aber das war längst nicht alles! Tagelang war die Tanzfläche mit Transparenten belegt, auf denen Arthur im Riesenformat Delacroix-Bilder aus den Freiheitskriegen übertrug. […] Das Theaterstück behandelte eine Lazarettszene, der Lehrer Willi Boyen war der Arzt, sein Gegenspieler „Freund Hein“, der Tod, das war der Bäckermeister Heino Eden, Arthurs Bruder, hinter den Kulissen. Mit einem simplen Tischlineal, das mit einer Kordel geschleudert wurde, erzeugte er eigenartige Brumm- und Heultöne, während er sprach, unheimlich!
Nachdem das Fest verrauscht und der Saal aufgeräumt war, saß Arthur wieder unter dem Spiegel in unserer Küche, Mutter schenkte ihm seinen Tee ein und munterte ihn auf. Die vielen aufopfernden Arbeiten hatten zwar sein Selbstgefühl gestärkt und waren eine schöne Abwechslung gewesen, der materielle Erfolg aber blieb nichts als Hoffnung, wie so manches Mal in seinem Leben.

Familie Martin Graalmann (3. v. l.) 1955 in Köln mit dem Bild von Arthur Eden

In der dörflichen Gemeinschaft, wo einer den anderen kennt, ist ein geistiges Gleichmaß Wichtigkeit. Abstände stören den Umgang: Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland! Darauf habe ich Arthur fünf Jahre später einmal hingewiesen, da lag ich eine Woche krank, aß und trank nicht, der Arzt zuckte mit den Schultern, ich war total nutzlos und drehte mich auf die Seite. Da kam Arthur zu mir ans Bett, bestand darauf, dass ich aufstand um ihn auf einem Spaziergang ins Moorland zu begleiten. Schließlich zog ich mich warm an, und wir zogen bei starkem Frost über die Äcker. Gelegentlich trafen wir Arbeitslose aus dem Dorf mit ihren kleinen Hunden und einem Spaten auf Maulwurfsjagd.

Wir aber machten aus Daumen und Zeigefinger beider Hände viereckige Rahmen, blickten hindurch und suchten geeignete Motive; stundenlang. Habe etliche schöne gefunden, Arthur notierte sie sich und abends aß ich Grünkohl mit Speck und fühlte mich wieder wohl.

Arthur aus Sillenstede wegzulocken in ein Gebiet mit lukrativerem Umfeld war umsonst, zu sehr war er hier verwurzelt. Das hat sich immer wieder erwiesen, und daraus hat er auch nie einen Hehl gemacht. Als ich ihn kurz vor seinem Tod noch besuchte, wunderten wir uns, dass er mich doch sofort erkannte. Wir wechselten ein paar Worte über alte Zeiten, da meinte er nachher nachdenklich und wehmütig: „Oh, deine Mutter!… und ihre Kinder!“ Ich wusste nur zu gut, was er meinte. Ihr flogen alle Kinderherzen nur so zu.

Ich musste zurückdenken an die schweren Zeiten die er durchgemacht hat. Anlässlich des Todes seines Vaters klagte er, dass er nun das Rezept seines Vaters für dessen schönes „Bremer-Grün“ nicht geerbt habe, das auf so manchen alten bäuerlichen Ackerwagen nach fünfzig Jahren nicht abgeblättert war. Oft habe ich gesehen, mit welcher Sorgfalt der alte „Hinnerk Maler“ seine Farben und Lacke noch von Hand mischte und wieviel Schichten hintereinander aufgewandt wurden. Da sprach noch niemand von Rationalisieren, aber die Rechnung stimmte bereits nicht mehr. Und woher sollten neue Methoden kommen, wir lebten ja nicht in Amerika, bei uns war die Zeit zu lange stehengeblieben.“

Autor: Andreas Grundei

Quellenangabe: Graalmann, Martin (1988): „Dorbilder aus Alt-Sillenstede (Teil 3)“. In: „Friesische Heimat“, Nr. 190, Beilage des Jeverschen Wochenblatts.